Dass er mächtige Feinde hat, weiß IAEA-Chef Mohammed al-Baradei schon lange. Dennoch ist der Uno-Diplomat entsetzt darüber, dass die US-Regierung ihn belauschen ließ, um ihn mit belastendem Material aus dem Amt zu drängen. Die Lektion heißt: Wo Amerika mit Diplomatie nicht weiterkommt, sind Dirty Tricks nicht weit.
Was Mohammed al-Baradei, seit 1997 Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), da gestern in der "Washington Post" zu lesen bekam, überraschte ihn nicht. "Ich gehe davon aus, dass ich abgehört werde und verhalte mich entsprechend", hatte er schon im März dieses Jahres der BBC anvertraut. "Man fühlt sich nicht besonders gut dabei, weil es eine Verletzung der Privatsphäre ist."
Und doch ist der Ägypter entsetzt und empört, wie Vertraute berichten. Der Diplomat hat sich nicht vorstellen können, dass die US-Regierung illegale Lauschangriffe dazu nutzten wollte, ihn aus dem Amt zu drängen - wenn sich nur etwas Belastendes gefunden hätte.
Die Bush-Regierung will Baradei loswerden, das weiß der 62-Jährige seit langem. Der scheidende amerikanische Außenminister Colin Powell, mit dem er gut kann, hat es Baradei schon vor Monaten gesteckt. Dass die USA aber einen diplomatischen Eklat solcher Größenordnung riskieren würden, hatte Baradei nicht erwartet.
Erst war es nur Anlehnung, inzwischen ist der oberste Atomkontrolleur in Teilen der Bush-Regierung geradezu verhasst: Unvergessen blieb etwa, dass er im Weltsicherheitsrat die angeblich so eindeutigen Beweise für ein wieder aufgenommenes Atombombenprogramm des Irak Stück für Stück auseinander nahm. An einem Schwarzen Brett bei der IAEA hing damals eine Karikatur: Eine Ehepaar versprach sich die Treue - bis zum Auffinden der Massenvernichtungswaffen im Irak.
Baradei hörte nicht auf, sich mit dem mächtigsten Mitgliedsland seiner Organisation anzulegen: Die Pläne von US-Präsident George W. Bush, neue, kleine Atombomben entwickeln zu lassen, kritisierte er als Verstoß gegen den Geist des Atomwaffensperrvertrages. Und das Weiße Haus sieht in ihm den Urheber einer Geschichte, die Bush kurz vor dem Wahltag in schwere Bedrängnis brachte: Von der IAEA versiegelte Sprengstoffdepots im Irak waren geplündert worden, weil die US-Armee sich nicht um deren Schutz kümmerte. Baradei weist die Anschuldigungen zurück.
Dass der einstige Präsident der ägyptischen Anwaltsvereinigung so hartnäckig darauf besteht, dass auch die mächtigen USA sich an die Regeln halten, hat ihm in Europa und in der Dritten Welt viel Glaubwürdigkeit verschafft. Aus der einst oft allzu nachsichtigen IAEA, die sich von Schurkenstaaten leicht austricksen ließ, hat er eine hoch motivierte und erfolgreiche Detektivtruppe gemacht: Bodenproben, Wischtests, bohrende Fragen - der einst ein bisschen schlampige und allzu nachlässige Polizist ist ein echter Cop geworden.
Die Zeiten werden noch schwer, prophezeit Baradei. Die Atomkrisen um Nordkorea und Iran sind nicht ausgestanden. Große Sorge macht ihm, dass Terroristen Massenvernichtungswaffen in die Hände bekommen könnten. "Wenn für mich im November 2005 Schluss ist, kann ich endlich mein Golf-Handikap verbessern", hat er unlängst gesagt. Aber solche demonstrative Gelassenheit muss man ihm nicht abnehmen. Baradei, der 1984 als Beamter bei der IAEA begann, will weitermachen.
Er hat erkannt, wie groß in der Welt nach dem Debakel um die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak das Interesse an einem Schiedsrichter, einem ehrlichen Makler ist. "Die Menschen wissen, dass unsere Arbeit den Unterschied zwischen Krieg und Frieden ausmachen kann", sagt er.
Mit ihrer Kritik an dem IAEA-Chef sind die USA ziemlich allein. Den meisten Staaten gilt Baradei als Glücksfall an der Spitze der Atomenergiebehörde. Auch die Bundesregierung hat dem IAEA-Chef schon Unterstützung für eine erneute Kandidatur zugesagt.
Alle Versuche amerikanischer Diplomaten, Unterstützung für Gegenkandidaten zu organisieren, sind bisher gescheitert. Weder die beiden von Washington genannten japanischen Diplomaten noch der australische Außenminister Alexander Downer würden bei einer Kampfabstimmung gegen Baradei siegen können. Die jetzt enthüllte Bespitzelung wird Baradei nur noch mehr Sympathien eintragen - seine Ablösung droht für die US-Regierung endgültig eine mission impossible zu werden.
Mehr Abstimmung und weniger Konfrontation hat Bush in seiner zweiten Amtszeit versprochen. Der Abhörskandal lässt eine andere Schlussfolgerung zu: Wo Amerika mit Diplomatie seine Ziele nicht durchsetzen kann, muss weiter mit Dirty Tricks gerechnet werden.
von Spiegel